Statt mit der Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ beginnt vor allem digitale Korrespondenz heute nur noch mit „Hallo“ und Unternehmen duzen ihre Kunden in personalisierter Werbung. Ist das „Sie“ überholt?
In der deutschen Sprache gibt es die berühmt-berüchtigten Personalpronomen, die Fremdsprachlern Kopfzerbrechen bereiten. Sprechen wir einen anderen Menschen an, geschieht das in der zweiten Person: Wir sagen „du“ oder im Plural „ihr“, in Mails und Briefen ist hier die Kleinschreibung korrekt. Für die Anrede fremder Personen galt lange die Höflichkeitsform – heute scheint die Verwendung von „Sie“ und „Ihnen“ aus der Mode gekommen zu sein, zumal die Rechtschreibung in der schnelllebigen Kommunikationskultur vernachlässigt und kaum noch ein Wort großgeschrieben wird.
Das Siezen hat jedoch viele Vorteile: Zum einen ist es bei formellen Anlässen nach wie vor Pflicht, zum Beispiel bei einem Behördengang. Zum anderen können Sie damit gegenüber einer anderen Person explizit Ihren Respekt ausdrücken. Im Berufsleben etwa ist es häufig noch üblich, für die Anrede der Vorgesetzten die verschiedenen Höflichkeitsformen zu verwenden – auch wenn es ein eher lockeres Zusammentreffen bei Fingerfood und Cocktails ist. Erst wenn Ihnen der Chef bzw. eine ältere Person das „du“ anbietet, können Sie zwangloser kommunizieren. Diese Regeln nach Knigge gelten bis heute.
Die Höflichkeitsform schafft also eine gewisse Distanz, was gerade bei rein geschäftlichen Beziehungen verhindert, dass es zu unangenehmen Situationen kommt. Streitfälle etwa sind weniger emotional aufgeladen, wenn durch die Sprache Abstand gehalten wurde. Anders herum fallen Sie beim ersten Date nicht gleich mit der Tür ins Haus, wenn Sie Ihr Gegenüber sofort duzen. Benutzen Sie zunächst die Höflichkeitsform, wird das durchaus als galant empfunden – es sei denn natürlich, Sie waren mit Ihrem Gegenüber schon vor dem ersten Rendezvous befreundet. Das „Sie“ im ersten Satz eröffnet die Möglichkeit für einen Prozess des Kennenlernens – und das macht die ganze Sache ja erst spannend und interessant. Das „du“ fungiert schließlich als „Eisbrecher“ und schafft Vertrautheit, die auch wirklich da ist.